Interview: Ninetoes

Von HipHop zu Techno

Obwohl sich der Bekanntheitsgrad der meisten Stuttgarter DJs auf die lokale Club Szene beschränkt, herrscht seit jeher im Kessel in sämtlichen Musik-Genres ein qualitatives hochwertiges Level. Mit Ninetoes tritt ein alter bekannter in neuem Gewand auf den Plan.

Hallo. Vielen bist du mit Sicherheit, vor allem im Kessel, als DJ Passion und als Teil vom Bass Ill Euro Duo bekannt. Dabei genießt du den Ruf, einer der innovativsten und kreativsten DJs der deutschen HipHop-Szene zu sein und vor allem im Club nicht nur mit deinem Soundspektrum, sondern auch mit deiner technischen Versiertheit zu begeistern. Nach erfolgreichen Bookings rund um den Globus kommst du nun wie aus dem Nichts mit deinem neuen Projekt Ninetoes daher und mischt die elektronische Musikszene auf. Wie kam es zu dieser Entwicklung? Spielt dabei auch der Zeitpunkt eine entscheidende Rolle?
Definitiv. Da ich schon immer ohne Scheuklappen in der Musikwelt rumspaziert bin und mich auch immer die elektronische Musik fasziniert hat, hat mich das dann schlussendlich Anfang letzten Jahres komplett in seinen Bann gezogen. Ich glaube, dass das eine natürliche Entwicklung ist. Je mehr man sich charakterlich, also menschlich, weiterentwickelt so denke ich, dass das mit den Vorlieben oder dem Geschmack genauso ist.

Mit „Finder“ hast du einen der Sommerhits auf den Dancefloors in diesem Jahr gelandet. Sogar Carl Cox hat deinen Track mächtig gepushed und ihn regelmäßig auf seinen Enter Veranstaltungen im Space auf Ibiza gespielt. Was geht in einem vor, wenn die Welt für einen in dem Sinne auf einmal "Kopf" steht?
Komisches, verrücktes wie auch ein unglaublich tolles Gefühl

Dein Track ist auf Martin Eyerers KlingKlong Label erschienen, was für ein erstes Release durchaus eine ziemlich dicke Hausnummer ist. Hattest du bereits früher mit Martin Eyerer Kontakt als er noch in Stuttgart gewohnt hat oder wie ist der Kontakt zustande gekommen?
Martin und ich haben uns vor circa zehn Jahren im Proton kennengelernt. Da hat er samstags noch Trance aufgelegt und ich war damals freitags mit unseren C.R.E.A.M. Partys heftig am HipHop auflegen. Wir haben uns auf Anhieb super verstanden und uns immer wieder gesehen und über Musik und über Gott und die Welt unterhalten. Und zufälligerweise hab ich ihn dann mal an einem Freitag im Climax bei seiner Session Deluxe Party besucht und als wir dann wieder über Musik geredet haben, meinte ich, das ich gerade einen House Track produziert habe, aber noch nicht weiß, an welches Label ich das schicken beziehungsweise releasen soll. Da meinte er, schick mal rüber, ich hör mich das Teil mal an… den Rest kennt ihr ja.

Hat der Erfolg von „Finder“ dich selbst ein wenig überrascht? Beziehungsweise wie hast du selbst über deine Zukunft als Ninetoes gedacht, bevor und nachdem der Track die Tanzflächen eroberte?
Ich erhoffe mir immer das mindeste, wenn ich an ein Projekt herangehe. Somit ist die Enttäuschung umso geringer, falls mal was schief läuft. Ich hatte schon die Absicht, mal ab und an als Ninetoes Tech-House und Techno aufzulegen, aber das jetzt „Finder“ so durch die Decke geht und ich mittlerweile weltweit Aufmerksamkeit und Bookings bekomme, hätte ich mir Anfang des Jahres wirklich nicht erträumen lassen. 

Was für eine Rolle spielt das Internet und vor allem das Networking für dich? Siehst du darin nur Vorteile oder denkst du, dass diese „unbegrenzten“ Möglichkeiten die das World Wide Web bietet auch dafür sorgen, dass die Leute der Musik oft nicht mehr unvoreingenommen entgegentreten können?
Ich finde ohne das World Wide Web würde heutzutage die ganze Musikindustrie zusammenbrechen, da fast 80 Prozent der Musik weltweit über das Internet vertrieben wird. Natürlich hat es auch negative Seiten. Die ganzen illegalen Downloads verursachen jährlich Millionen Euros an Verlusten, aber jede Entwicklung hat leider nun mal positive wie auch negative Seiten.

House und HipHop konnten sich in den letzten Jahren, auch ohne Berücksichtigung des EDM-Hypes, von Erzfeinden zu guten Bekannten entwickeln. Ein logisches Resultat der fortschreitenden Kommerzialisierung der elektronischen Musik oder entwickelt sich in deinen Augen ein komplett neues Genre, dass unabhängig von beiden ursprünglichen Szenen agiert?
Nicht unbedingt ein neues Genre, aber ich merke einfach, dass die heutige elektronische Musik viel mehr zugänglicher wird und auch von Leuten akzeptiert wird, die jetzt nicht so viel mit elektronischer Musik zu tun haben. Das könnte natürlich auch daran liegen, dass DJs wie zum Beispiel Loco Dice früher Hip Hop aufgelegt haben und dann quasi ihren Flavour mit in die elektronische Musik miteinfließen lassen. Das merkt, hört und spürt man und dadurch glaube ich, dass mehr HipHopper auch gefallen an dem Sound finden.

Du spielst mittlerweile fast jedes Wochenende in renommierten europäischen Clubs. War es für dich Anfangs eine Umstellung oder vielleicht etwas ungewohnt als Act einer rein elektronischen Veranstaltung zu spielen? Und wie ist das Feedback von anderen Artists, die du bei deinen Gigs kennen lernst?
Ehrlich gesagt war ich bei meinem ersten Ninetoes Bookings schon ein wenig aufgeregt, was ja nach 15 Jahren DJ-Karriere eigentlich fast unmöglich ist, aber ich kam mir wirklich vor, wie bei meinem ersten DJ-Gig. Das Feedback der DJs ist eigentlich immer sehr positiv. Bisher hatte ich noch keinen, der sich beschwert hat.

Bereits als HipHop-DJ warst du einer der wenigen, der in seinen Sets stets über den Tellerrand hinausschaute und andere Stilrichtungen mit eingebunden hat. Für viele DJs war es damals undenkbar von der straighten HipHop-Lebensphilosophie vor sowie hinter den Decks Abstand zu nehmen. Ging dir diese Scheuklappen-Einstellung damals manchmal auf den Wecker? Und was denkst du, wenn du jetzt mitbekommst, dass viele von den damaligen Hardlinern jetzt auch versuchen dem nachzueifern?
Naja, die meisten, die früher mich und meinen Stil gehatet haben, legen heutzutage nur noch in komischen Großraum Diskotheken auf oder haben es aufgegeben, aufzulegen. Da bestätigt sich für mich halt das Sprichwort: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

Hast du dich vielleicht auch genau wegen dieser Scheuklappen-Mentalität im HipHop-Bereich anderen Musikstilen zugewandt?
Ne… Das hat mich nie interessiert. Da ich schon sehr früh mit Musik zu tun hatte, bin ich mit sehr vielen verschiedenen Musikrichtungen aufgewachsen und konnte somit schon in sehr jungen Jahren meine musikalischen Scheuklappen ablegen. Deswegen feier ich auch so viele verschiedene Genres, und baue die auch immer in meinen Sets mit ein.

Ich habe in einem elektronischen Musik-Blog einen Artikel gelesen, in dem dein Track wegen den Sampling Methoden kritisiert wurde. Im Gegenteil zum HipHop, wo sich Acts von Dr.Dre bis zum Wu-Tang Clan quasi 1 zu 1 an alten Soul Samples von Leon Haywood oder Marlena Shaw bedienen, ist dies in der elektronischen Musik bis vor einigen Jahren kaum diskutiert worden. Kannst du die Kritik nachvollziehen, oder siehst du darin dieselbe Scheuklappen-Mentalität wie früher im HipHop?
Sagen wir es mal so: Wenn das zerschnippeln von vorhandenen Tracks beziehungsweise das eins zu eins samplen von Tracks unkreativ sein soll, wären Daft Punk wohl die unkreativsten Elektronischen Musikmacher. Man kann es einfach nicht allen Recht machen. Ich bin der Letzte, der keine Kritik verträgt - solange sie konstruktiv ist. Aber Hate als konstruktive Kritik zu verkaufen, empfinde ich leider nur als gepushe eines nichtvorhandenen Egos.

Hast du dich schon immer für die elektronische Musikszene interessiert? Woher und wann kam Interesse und ausschlaggebender Moment?
Ich bin schon immer zweigleisig gefahren. Hab mich immer so gut es ging, über die elektronische Musikwelt informiert und mir immer wieder Platten gekauft oder im Netz Musik gekauft. Aber Anfang letzten Jahres auf der Time Warp in Mannheim hat es mich dann so richtig gepackt und ich hab mich auch produktionstechnisch immer mehr auf Tech-House und Techno Musik spezialisiert.

Kannst du dich an deine erste Club-Offenbarung, was elektronische Musik betrifft, erinnern? Und wie empfindest du Techno im Club?
Oh je... Ich glaube, das war 1996 in einem Club in Rottweil. Aber ich erinnere mich nicht mal mehr an den Namen. Da hat ein Ex-Mitschüler seinen Geburtstag gefeiert und wir mussten, weil er Techno gefeiert hat, in einen Techno Club. Techno in einem Club. Das kommt natürlich immer, wie bei allen Genres, auf den DJ an, der an dem Abend auflegt. Also, wenn der DJ mies ist, dann wird der Abend dementsprechend auch mies. Und wenn man weiß, zu welchem DJ man feiern geht und seinen Stil kennt und feiert, dann gibt's eigentlich nichts besseres als Techno im Club. Ganz einfach weil in einem Techno Club ein ganz anderer und viel positiver Vibe herrscht, als in einem HipHop Club.

Wie schaut es mit weiteren Veröffentlichungen aus? Oder musst du erst mal alles in Ruhe auf dich einwirken lassen?
Ne ne, meine nächste Single ist schon ready. Warte nur noch auf die Remixe und dann wird sie hoffentlich noch dieses Jahr noch veröffentlicht. Seid gespannt .

Letzte Grüße, Ansagen oder Statements?
Danke an alle, die mich bis jetzt supportet haben. Hoffe, dass es 2014 noch steiler geht und wir uns in den Clubs oder auf einigen großen Festivals wiedersehen.

www.soundcloud.com/ninetoes78
www.facebook.com/ninetoes78

> Ninetoes performt am 19. September im Rahmen von BigCityBeats Live in der Etage Eins Offenburg.

Interview: Oktober 2013
 

Johannes Windisch