Interview: Tobi Neumann

...über EDM, seine Studioflaute und Ibiza

Der original Münchener und Wahlberliner Tobi Neumann ist seit fast zwei Jahrzehnten eines der deutschen Aushängeschilder für elektronische Musik. Ein breites Soundspektrum an Remixen und Produktionen für andere Künstler auf Labels wie Cocoon, SFTH, Playhouse, Universal oder Chicks on Speed Records machten Tobi Neumann zu einem der innovativsten und angesehensten Produzenten. Dazwischen dürfen zahlreiche Gigs rund um den Globus natürlich nicht fehlen.




Hallo Tobi! Du bist seit über 15 Jahren als DJ und Produzent erfolgreich. Im gleichen Zeitraum hat sich die elektronische Musik und Szene stets verändert und in verschiedenste Richtungen entwickelt. Was ist deiner Ansicht nach entscheidend um über so viele Jahre stets erfolgreich und immer am Puls der Zeit zu sein?
Ich denke man darf die Neugier und den Jagdinstinkt nach guter Musik nicht verlieren. Und irgendwie muss man wie in der Mode in der Lage sein mit der Zeit zu gehen und nicht zu sehr an dem Vergangenen festhalten. Eigentlich tendieren Menschen im Allgemeinen eher dazu wenn sie älter werden irgendwann die Musik aus der Vergangenheit neuen Sachen vorzuziehen. Als DJ muss man die Ohren offen halten und sich jede Woche neue Musik anhören. Und das fordert einen schon sehr, aber macht auch Spaß und hält jung. Und das ist das wichtigste um lange dabei bleiben zu können.

Ist es ab einem bestimmten Bekanntheitsgrad leichter in dem schnelllebigen Geschäft mitzuhalten? Oder gab es bei dir auch mal den ein, oder anderen Moment in dem du von dem ganzen Zirkus genug hattest?
Den Namen, den man sich über die Jahre erarbeitet hat hilft natürlich schon ungemein. Aber man darf sich darauf niemals ausruhen. Denn jedes Wochenende werden die Karten neu gemischt und man muss es immer wieder unter Beweis stellen, dass man es drauf hat und die Leute bewegt und glücklich hinterlässt. Ja klar habe ich manchmal genug von dem Zirkus, wie viele Menschen in anderen Berufen wahrscheinlich auch. Gerade das Rating über Internet, die Anzahl der Klicks und Likes kann für einen älteren DJ der nicht mit dieser Internet Kultur groß geworden ist teilweise etwas frustrierend und demütigend sein. Aber auch da muss man halt mit der Zeit gehen. Nach der Präsenz auf Soundcloud, Facebook etc richten sich heute die meisten Veranstalter.

Es gibt ein paar Artists wie zum Beispiel Sven Väth, Carl Cox, Chris Liebing, Ricardo Villalobos und Anthony Rother, die sich über Jahre als nahezu unerschütterliche Institution gefestigt haben. Zu dieser Liga würde ich auch deine Person zählen. Glaubst du, dass es auch heutzutage noch möglich ist, sich einen solchen unverwüstlichen Ruf zu erspielen? Oder hat die weltweite Vernetzung uns der letzten "Ikonen" beraubt?
Also erst mal ehrt es mich in einer Liga mit diesen großen DJs genannt zu werden. Ich glaube selber nicht, dass ich auf deren Niveau bin aber vielen Dank für die Blumen! Ich sehe mich selber eher in der zweiten Reihe, bin aber solide im Geschäft und das habe ich mir über die Jahre hart erarbeitet.
Und ja, ich denke dass es auch heute noch möglich ist eine nachhaltige Karriere als DJ zu machen und irgendwann auch eine Institution zu werden. Siehe Seth Troxler, Loco Dice, Sonja Moonear, ZIP, Dyed Soundorom und die Apollonia Jungs, Maceo Plex etc. Ist es nicht eher sogar so, dass man heute über das Internet noch viel schneller berühmter werden kann? Dann zeigt sich allerdings erst mit den Jahren, ob man stark genug ist durchzuhalten und auch wenn der Hype man vorbei ist konstant am Ball zu bleiben.

Dein breites Sound-Spektrum an Remixen und Produktionen für andere Künstler haben dich über die Jahre zu einem der innovativsten und angesehensten Produzenten elektronischer Musik gemacht. Mit Arbeiten wie "Kaltes klares Wasser" von Chicks on Speed, "Mindgames" von Sven Väth oder „Come To Sin“ der Bananafishbones konnte man die Leute noch mit etwas "Neuem" verblüffen und fesseln. Diesen Aha-Effekt gibt es heute nicht mehr, dafür aber elektronische Musik in einer noch nie dagewesenen Bandbreite. Fehlt dir heutzutage trotzdem, oder gerade dadurch, der Reiz mehr Zeit im Studio zu verbringen?
Ein wunder Punkt bei mir. Ich hatte über die letzten Jahre etwas den Faden verloren im Studio. Das lag unter anderem an diesem ewigen DJ Rhythmus, jedes Wochenende weg. Monatag und Dienstag erholen und Büro machen, vielleicht am Mittwoch ins Studio und am Donnerstag schon wieder in die Vorbereitung für das Wochenede gehen. Das hat bei mir über die Jahre massiv den Produktions-Flow gestört. Allerdings haben wir jetzt wirklich einiges neues gemacht, auch eigene Musik was ab spätem Herbst veröffentlicht wird. Im Studio geht es gerade richtig aufwärts.

Du spielst seit Jahren auch regelmäßig auf Ibiza und man hört immer wieder, dass Ibiza dem "Kommerz" verfallen sei. Aber als ich neulich bei Richie Hawtins Enter Reihe nach den Acts geschaut habe, konnte ich voller Begeisterung Namen wie Vince Watson, Petar Dundov, Luke Hess oder Deepchild lesen. Wie stehst du zu dem Thema Ibiza und welchen Weg wird die Insel deiner Meinung nach in Zukunft gehen?
Ach, die Leute sagen immer dass alles zu sehr kommerzialisiert wird. Auch so eine Attitüde von älterwerdenden Menschen. Ich denke die Zeiten ändern sich. Stimmt schon, dass das Party-Business und der DJ Starkult auf Ibiza neue Dimensionen erreicht hat. Aber gerade Enter, Cocoon, Next Wave, Fuse Project, Solomun und auch Circoloco setzten nach wie vor auch auf Underground Artists und pushen neue Leute. Enter macht einen fantastischen Job und ist meilenweit von einer reinen Kommerzveranstaltung entfernt. Ich war da vor zwei Wochen, 5 DJ Sets wurde auf Vinyl gespielt. Und Rich ist immer von Anfang an der Nacht im Laden und mixt teilweise den Leuten sogar noch ein Sake-Coctail. Voller Einsatz. Und immer spielt von 22:00 – 00:00 ein Headliner auf dem Sake-Bar-Floor. Das ist großartig und sehr schlau!

Fühlt es sich manchmal komisch an mit der Musik, die man mit Hingabe, Leidenschaft und ohne Profitgier erstellt hat, in einer globalen Musikindustrie mitzumischen? Oder zeigt dies nur, dass noch nicht alles der totalen Profitorientierung untergeordnet ist?
Ach wo, man muss ja auch von was leben. Und wenn sich Musikstück hinter dem man voll stehen kann dann in der Industrie durchsetzt, ist das doch umso erfreulicher und eine tolle Bestätigung der Arbeit.

Was waren für dich ganz besonders ausschlaggebende Momente in deiner Karriere? Zum Beispiel emotionale Erlebnisse oder Begegnungen, die den bisherigen Werdegang entscheidend beeinflusst haben?
Also, da ich mit der Beantwortung dieses Interviews etwas spät dran bin kann ich jetzt nicht anfangen da Beispiele zu nennen. Zu viele tolle Erlebnisse gab es über die Jahre, so viel wichtige Erfahrung etc. Sicher ein immens wichtiger Schritt für mich war meine Zeit mit Sven Väth und der Crew über die letzten 12 Jahre bei Cocoon. Das hat mir natürlich viele Türen und Tore geöffnet und mich um den halben Globus gebracht.

Mit dem EDM-Wahnsinn hat die elektronische Musik ein Level erreicht, das mit der Kommerzialisierung des HipHop vor 10 Jahren vergleichbar ist. Nach dessen Ausschlachtung sind ein paar Acts übrig geblieben, die den Sprung in das Pop-Business geschafft haben und die Basis einer jeden Szene, der Underground. Von den vielen Acts im Mittelfeld, die mit dem stetigen Wachstum der HipHop-Szene Erfolg hatten, gibt es so gut wie keine mehr. Siehst du dieselbe Entwicklung auch bei der elektronischen Musik?
In unserer Underground-Szene besteht schon eine große Konstanz über zwei Dekaden. Das wird sich meiner Meinung trotz des kommerziellen Ausverkaufs von EDM weiter halten. Wir haben ja auch den großen Techno Hype im Mainstream zwischen '92 und '95 überlebt. Da haben dieselben Journalisten, die uns erst in den Himmel geschrieben haben, danach für tot erklärt. Und da ging es bei uns aber erst richtig los. Gute House und Techno Musik wird es immer geben und auch das Publikum dafür stirbt nicht aus. Ich bin da eigentlich ganz zuversichtlich.

Jetzt hast du das letzte Wort für Grüße, Ankündigungen, Ansagen oder auch Prophezeiungen.
Ich fand eure Fragen hier echt interessant! Mal was anderes als sonst oft in den Interviews.

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Christian Schmidt